Zeig mir das Land, in dem Milch und Honig fließen
Diese wachsende Ungleichheit ist nicht nur zwischen Nord und Süd zu finden, sondern auch innerhalb der einzelnen Länder. Hier liegt einer der Hauptgründe für Flucht und Migration: die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich.
In welchen Fällen spricht man von Migrant(inn)en beziehungsweise Flüchtlingen?youngcaritas Deutschland, T. Heink
Was im Volksmund einfach nur "Flüchtling" heißt, ist rechtlich durch die Genfer Flüchtlingskonvention wie folgt definiert: Ein Flüchtling ist eine Person, die ihre Heimatland verlässt, weil sie aufgrund ihrer "Rasse", Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat. Jemand, der sein Land freiwillig verlässt, um seine Lebensbedingungen zu verbessern, gilt in der Regel als Migrant(in).
Menschen, die vor Hunger, Armut oder Naturkatastrophen fliehen, werden formell als Migrant(inn)en bezeichnet und haben keinen Anspruch auf Asyl. Ob diese Form der Migration tatsächlich freiwillig ist, wird zunehmend infrage gestellt. Deshalb wird in diesen Fällen immer öfter von Flucht beziehungsweise Zwangsmigration gesprochen. Es gibt Bestrebungen, das Asylrecht auch im Falle von äußeren Umständen geltend zu machen: zum Beispiel Krieg, Naturkatastrophen, materielle persönliche Notlagen wie Hunger oder eben gravierende wirtschaftliche Probleme.
Weltweite Wirtschaftspolitik
Bis vor 150 Jahren erhoben die meisten Länder hohe Zölle und Steuern auf ausländische Produkte um zu verhindern, dass ausländische Produkte häufiger gekauft werden als die inländischen. Der Schotte Adam Smith behauptete 1776, der Wohlstand sowohl im Inland als auch im Ausland würde steigen, wenn Waren zwischen Ländern frei gehandelt werden könnten. Handelshemmnisse, also die Beschränkung und Besteuerung von Handel über Grenzen hinweg, müssten dazu abgebaut werden. Die Idee ist, dass jedes Land bestimmte Produkte günstiger herstellen kann als andere Länder, aufgrund seiner Rohstoffe, seines Klimas, der Kompetenzen seiner Menschen und der jeweiligen Lohnhöhe. Die Länder verkaufen sich dann untereinander die Produkte zu einem im Verhältnis günstigeren Preis, als sie sie selbst hätten herstellen können, und alle profitieren. Nach diesem Modell der internationalen Arbeitsteilung produzieren - stark vereinfacht gesagt - westliche Industrieländer aufgrund ihrer Kompetenzen zum Beispiel technologische Innovationen (Erste Welt), sogenannte Schwellenländer (Zweite Welt) produzieren Massenprodukte zu günstigen Löhnen und Länder der sogenannten Dritten Welt produzieren wenig technisch entwickelte Produkte, die sehr arbeitsintensiv sind, wie zum Beispiel Lebensmittel. Soweit die - wie gesagt sehr verkürzte - Theorie. In der Praxis funktioniert das allerdings ganz anders.
Geflügelreste aus Europa in Ghana
Aufgrund des geeigneten Klimas und der preiswerten Arbeitskräfte lassen sich landwirtschaftliche Produkte also am günstigsten in den Ländern des Südens produzieren. Könnten alle Produkte weltweit ohne Einschränkung gehandelt werden, hätte dies zur Folge, dass landwirtschaftliche Produkte, die in Europa hergestellt werden, im Verhältnis viel teurer wären und nicht mehr gekauft werden würden. Dann würden zum Beispiel die deutschen Landwirte ihr Einkommen verlieren. Um dies zu verhindern zahlt die Europäische Union (EU) seit ihrer Gründung in großem Umfang Subventionen, also Fördergelder und Steuervergünstigungen, um die eigene Landwirtschaft zu unterstützen. Ein Drittel des gesamten Budgets der Europäischen Union sind Agrarsubventionen.
Mit Hilfe von staatlichen Subventionen werden zum Beispiel überschüssige Produkte aus Europa zu günstigen Preisen in Entwicklungsländern verkauft. In Burkina Faso kostete die Produktion eines Liters Milch im Jahr 2009 umgerechnet 40 Cent. Der Verkaufspreis lag bei circa 70 Cent. Das aus Dänemark eingeführte, subventionierte Milchpulver kostete dagegen nur 30 Cent. Die Bauern in Burkina Faso konnten hier nicht mithalten. In Ghana brach der Preis für Geflügel ein, weil Geflügelreste, die in der EU nicht verkauft wurden, die Märkte überschwemmen. In der Folge kämpfen ghanaische Kleinbauern, die kaum andere Einnahmequellen haben, um ihre Existenz. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für ehemals florierende Wirtschaftszweige in Entwicklungsländern, die durch subventionierte Produkte aus der EU oder den Vereinigten Staaten ruiniert wurden.
Das Freihandelsabkommen Economic Partnership Agreement
Viele Jahre lang räumte die EU ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik (den sogenannten AKP-Staaten) besondere Handelsvorteile im Unterschied zu anderen Ländern ein, um sie beim Aufbau ihrer Wirtschaft zu unterstützen. Sie durften ihre Waren zoll- und abgabefrei einführen, während sie ihrerseits zum Schutz ihrer Märkte Zölle erheben konnten. Diese Regelungen sollen jetzt abgeschafft und durch die sogenannten Economic Partnership Agreements (EPAs) ersetzt werden. Die AKP-Staaten müssten dann ihre Märkte komplett für Agrar- und Industrieerzeugnisse aus der EU öffnen. Die afrikanischen Staaten befürchten, dass dies ihre heimische Wirtschaft bedroht. Den Staaten, die nicht bereit sind, die Handelsabkommen zu unterschreiben, droht man mit dem Entzug der Zollfreiheit. In Kenia wurden Strafzölle erhoben und in der Folge gingen Bauern und Bäuerinnen, Händler(innen) und Futtermittelhersteller(innen) pleite. Aus Angst vor diesen Konsequenzen willigen nun immer mehr afrikanische Staaten in die EPAs ein.
Das Beispiel der EPAs zeigt eindrücklich, wie sich die Interessen der europäischen Entwicklungspolitik, die unter anderem gemeinsam mit den betroffenen Menschen Armut bekämpfen möchte, und jene der Wirtschaftspolitik konträr gegenüberstehen. Dass Entwicklungshilfeprojekte versuchen sollen, die Folgen der ungerechten Handelsbeziehungen auszugleichen, ist paradox!
Auch die beiden neuen geplanten Wirtschaftsabkommen, die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) mit den USA und das Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) mit Kanada, werden eine sehr viel größere Konkurrenz auf dem europäischen Markt zur Folge haben, wodurch die Erlöse für die AKP-Staaten sehr wahrscheinlich zurückgehen werden. Ziel dieser vielfach kritisierten Freihandelsabkommen sind der Abbau von sogenannten Handelshemmnissen und das Ankurbeln des Wirtschaftswachstums innerhalb der Vertragsstaaten.
Ausverkauf der Ressourcen
„Wir wollen keine Entwicklungshilfe. Wir wollen gerechtere Handelsbeziehungen! Wir wollen unsere Würde zurück und unser Geld selbst verdienen.“ Das ist der Standpunkt der Fischer im Senegal.Caritas international, R. Brender
Die Regierung des Senegal in Westafrika verkauft Fischereirechte an ausländische Schiffe und schränkt gleichzeitig den Fischfang für die einheimischen Fischer ein. Die einheimischen kleinen Schiffe (Pirogen) können mit der Fangleistung der ausländischen Schiffe nicht konkurrieren. Im Jahr 2014 hat sich die EU im Rahmen eines Fischereiabkommens mit dem Senegal dazu verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren 15 Millionen Euro zu zahlen. Dafür darf sie allerdings 14.000 Tonnen Thunfisch pro Jahr in senegalesischen Gewässern fischen. Die ehemals reichen Fischgründe werden so leergefischt. Das hat schlimme Folgen für die Natur und bedroht die Existenzen der 600.000 einheimischen Fischer. Ein Teil der senegalesischen Fischer macht sich auf in Richtung Europa, in der Hoffnung, dort ein Auskommen zu finden.
Auch in Brasilien, im Nigerdelta, im Kongo oder in Somalia kommt es zur Ausbeutung von Mensch und Natur. Flucht in die großen Städte oder als letzte Option ins Ausland ist für viele eine wichtige Überlebensstrategie.
Globalisierung und moderne Sklaverei
Überlebende des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Dhaka, Bangladesch, 2013Caritas international, Ph. Spalek
"Ich hatte Glück, weil ich im obersten der acht Stockwerke arbeitete, als alles um mich herum zusammenfiel. Innerhalb weniger Sekunden lag ich in einem nur einen halben Meter hohen Spalt, über mir die Balken des Daches, alles um mich herum lag in undurchsichtigem Staub, die Menschen schrien. Dann verlor ich das Bewusstsein."
Im Jahr 2013 ereignete sich eines der schlimmsten Unglücke in der modernen Textilindustrie, als das Fabrikgebäude Rana Plaza mitten in der Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, einstürzte. Es riss 1136 Menschen in den Tod.
Die Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter(innen) in Bangladesch wie auch in anderen südasiatischen Staaten sind miserabel: Sie erhalten gerade einmal 50 bis 64 Euro Monatslohn. Dieser Lohn ist auch für das Entwicklungsland verhältnismäßig niedrig und reicht nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Viele Fabriken weisen gravierende Sicherheitsmängel auf, sind also zum Beispiel einsturzgefährdet. In den Produktionshallen herrschen hohe Luftfeuchtigkeit und Temperaturen von über 40 °Celsius vor, Klimaanlagen gibt es keine. Oft sind die Textilarbeiter(innen) gezwungen, Überstunden zu machen, die nicht bezahlt werden. Weltweit agierende Unternehmen dagegen profitierten lange von den miserablen Produktionsbedingungen und günstigen Arbeitskräften. Doch nachdem sich wiederholt große Unglücke in der Textilbranche ereigneten, wächst das Interesse einer breiten Öffentlichkeit für die Arbeitsbedingungen der Näher(innen).
Im Aktionsheft findet ihr verschiedenste Möglichkeiten, wie ihr euch engagieren könnt:
- Stoppt die moderne Sklaverei in den Textilfabriken und setzt euch für Fairtrade ein!
- Startet euer eigenes "Faires Kochevent" und informiert andere bei einem selbst gekochten Essen über die Herkunft und den Vertrieb von Lebensmitteln! Faire Kochrezepte der GEPA gibt es hier!
- Macht euch Gedanken zu den Änderungsvorschlägen von youngcaritas:
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Menschen aus dem Süden sollen legal nach Europa kommen dürfen. Arbeitsmigration fördert die Entwicklung in ärmeren Ländern und verringert die Armut.
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Die EU soll ihren Teil dazu beitragen, die Ursachen von Migration und Flucht zu bekämpfen. Dafür soll sie zum Beispiel die wirtschaftliche, soziale und rechtsstaatliche Entwicklung in den Herkunftsländern fördern, um die Lebensperspektiven der dort lebenden Menschen zu verbessern.
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Alle Staaten der EU stehen in der Verantwortung, Lösungen zu finden, um die wiederkehrenden humanitären Tragödien im Mittelmeer und an den Außengrenzen der EU zu verhindern. Dabei muss sich das Grenzschutzsystem der EU auch an der Menschenwürde der Schutzsuchenden orientieren.