Ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie?
Gerechtigkeit als Teil der göttlichen Ordnung
Die Idee einer vollkommenen Ordnung in einer Gesellschaft ist sehr alt. Ursprünglich glaubten die Menschen, dass göttliche oder kosmische Gesetze das menschliche Zusammenleben bestimmen. Gerechtigkeit wurde als eine Eigenschaft beziehungsweise Tugend verstanden, die zum Erhalt der vorgegebenen Ordnung wichtig war. Wer sich nicht an die göttliche Ordnung hielt, musste spätestens im Jenseits dafür büßen. In vielen Kulturen wurde Gerechtigkeit im weitesten Sinne durch eine Gottheit personifiziert.
Individuelle vs. gesellschaftliche Gerechtigkeit
Die berühmten griechischen Philosophen Platon (427 - 347 v. Chr.) und Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) sahen in der Gerechtigkeit die höchste aller Tugenden, ohne dies mit einer Gottheit zu begründen.
Gerechtigkeit: Heißt das nicht, dass alle zufrieden sind?youngcaritas Deutschland, T. Heink
Die Fähigkeit "Gerechtigkeit" verhilft seiner Besitzerin beziehungsweise seinem Besitzer zu einem bewundernswerten und guten Leben. Platon vertrat die Ansicht, dass der Mensch das Wesen der Gerechtigkeit durch philosophisches Nachdenken erkennen kann. Er glaubte, dass Gerechtigkeit eine Art ewige und unveränderliche Idee ist, die jeder Mensch für sich entdecken kann. Somit ist jeder Mensch aus sich selbst heraus fähig zu unterscheiden, was gerecht oder ungerecht ist.
Im Gegensatz zu seinem Lehrer Platon glaubte Aristoteles, dass der Einzelne nicht für sich alleine, sondern nur in einer konkreten Gesellschaft und im Verhalten zum Mitmenschen erkennen kann, was gerecht und was ungerecht ist. Seiner Meinung nach wird die Tugend der Gerechtigkeit letztendlich von der Gesellschaft vermittelt. Bei genauerer Betrachtung ist der Gerechtigkeitsbegriff von Aristoteles also relativ. Gerechtigkeit kann je nach kulturellem Kontext etwas anderes bedeuten.
Gerechtigkeit trotz Egoismus?!
Viele Jahrhunderte später sollte Thomas Hobbes (1588 - 1679) die bis dahin verbreiteten Meinungen über Gerechtigkeit fundamental ändern. Er vertrat die Ansicht, dass der Mensch von Natur aus rücksichtslos und egoistisch ist. Deswegen braucht es keine gerechten Menschen, sondern gerechte Verträge und Gesetze. So müssen wir uns nicht darauf verlassen, dass unsere Mitmenschen aus moralischen Gründen gerecht handeln, sondern weil sie die Strafe fürchten, die ein Vertragsbruch mit sich bringen würde. Der Gesellschaftsvertrag regelt damit eindeutig, was gerecht ist und ermöglicht so auch ein Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen. Das Individuum muss also nicht mehr selbst nach Gerechtigkeit suchen.
Gerechtigkeit war nun nicht mehr der Ausdruck einer göttlichen Ordnung oder einer persönlichen Haltung, sondern einer von allen Seiten anerkannten Institution. Aufgabe dieser Institution ist es, einen angemessenen und objektiven Ausgleich der Interessen zu ermöglichen, der notfalls auch eingeklagt werden kann.
Moderne Gerechtigkeit(en)
Diese Auffassung von Gerechtigkeit hat sich bis zum heutigen Tag durchgesetzt und wurde immer wieder erweitert. So forderte die im Jahr 1789 entstandene Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte unter anderem die Rechtsgleichheit, also die juristische Gleichberechtigung der Bürger. Weil diese allerdings Frauen nicht mit einschloss, wurden bald darauf Forderungen nach der vollen rechtlichen, gesellschaftlichen sowie politischen Gleichberechtigung aller Geschlechter laut. Sie führten dazu, dass in vielen europäischen Ländern im Laufe des 20. Jahrhunderts das Frauenwahlrecht eingeführt wurde.
Tatsächlich gibt es heute viele unterschiedliche Formen von Gerechtigkeit. Wenn wir fordern, dass staatliche Gesetze eine angemessene Verteilung von Lebenschancen, Ressourcen und Arbeitsstellen gewährleisten sollen, sprechen wir von sozialer Gerechtigkeit. Dass in Deutschland Familien mit Kindern ein Recht auf Kindergeld haben oder arbeitslose Menschen ein Recht auf Arbeitslosenhilfe, geht hierauf zurück.
Ob und wie ausgeprägt die Gerechtigkeit ist, kann sich von Land zu Land sehr unterscheiden. Ein starker Ausdruck dafür, wie weit die Vorstellungen von Gerechtigkeit auseinandergehen, ist die juristische Gerechtigkeit. Laut Amnesty International gab es im Jahr 2015 56 Staaten, in denen die Todesstrafe im gewöhnlichen Strafrecht enthalten ist. Sie sehen die Todesstrafe als gerechte Vergeltung für schwerste Straftaten an, während viele andere Staaten die Tötung von Menschen grundlegend ablehnen. Darüber hinaus birgt die Todesstrafe die Gefahr von Justizirrtümern und Missbrauch. Nicht immer ist das Recht auch gerecht.
Gerecht oder/und barmherzig?
Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufzunehmen und auf menschenwürdige Weise zumindest mit Obdach, Nahrung, Kleidung sowie gesundheitlich zu versorgen ist kein reiner Akt der Nächstenliebe ("Almosen"), sondern beruht auf grundlegenden Rechten hilfebedürftiger Personen. Denn aus den Grundrechten ergeben sich auf der Ebene der Gerechtigkeit Rechte und Pflichten, auf die Menschen einen Anspruch haben.
Etwas anderes sind Taten der Barmherzigkeit. Sie sind eine - freiwillige - Hilfestellung für das Wohl von Mitmenschen. Es gibt also einen Unterschied zwischen sozialen Dienstleistungen, die der Gerechtigkeit beziehungsweise Grundrechten geschuldet sind, und einer ungeschuldeten Hilfsbereitschaft oder Handlungen der Nächstenliebe.
Eine Gesellschaft, in der Leben gelingen kann, braucht beides: gerechte Strukturen und Menschen, die Verständnis für die Not anderer haben.
Gerechte Entscheidungen - gibt es das? Unsere App "Gerechtigkeitsmanager" kann euch dabei helfen, gerechte Entscheidungen zu treffen: